Nach 25 Sekunden zappelt der Puck bereits im Netz von Simon Rytz, einem der besten Torhüter der Swiss League. Thurgau führt in Olten 1:0. Der frühe Treffer ist Gold wert. Nun kann Thurgau kontern und gewinnt am Ende 3:1.
Ian Derungs hat nicht nur dieses frühe, wegweisende 1:0 erzielt. Er ist ebenso am Angriffswirbel beteiligt, der zum ersten Oltner Ausschluss und zum 0:2 führt. Und beim 0:3 hat er den Stock auch im Spiel.
Ian Derungs hat in 31 Partien schon 23 Tore erzielt. Gleich viele wie in der National League Langnaus Jesper Olofsson und mehr als jeder andere Spieler in der Swiss League und in der National League. Er ist also der beste Torschütze unseres gesamten Profi-Hockeys. Er hat sich darüber hinaus schon eine Saison lang im beinharten nordamerikanischen Juniorenhockey auf höchstem Level bewährt (2018/19). Er ist erst 22 Jahre alt. Seine Berufseinstellung ist ohne Fehl und Tadel. Die Rolex in der Transferboutique.
Was Ian Derungs 23 Tore noch wertvoller macht: Er hat sie für Thurgau erzielt. Für ein «System-Team», das offensiv nur die Nummer 8 der Liga ist und für jedes einzelne Tor hart arbeiten muss. Bei Thurgau gibt es keine «Gratis-Tore» bei Kantersiegen. Thurgau ist eines der taktisch besten Teams der beiden höchsten Ligen. Das bedeutet: Ian Derungs mag ein offensiver Freigeist sein. Aber er kann auch System.
Logisch wäre: Die Sportchefs der höchsten Liga rennen ihm die Türe ein. Ian Derungs hat zwar in Thurgau einen Vertrag bis 2023, aber mit einer Ausstiegsklausel für die National League.
Frage also an seinen Agenten André Rufener: Wie viele Angebote aus der National League gibt es schon? «Kein einziges.» Was? Kein einziges? Das kann nicht sein! «Doch, so ist es.» Er habe nicht mal einen einzigen Anruf eines Sportchefs aus der höchsten Liga bekommen. Interessiert sind nur Kloten und Olten im Falle eines Aufstieges.
Was ist hier los? Nun, Ian Derungs ist ein Zauberzwerg. Nur 174 Zentimeter gross und 76 Kilo schwer. Aber schlau, furchtlos, wieselflink, cool und vielleicht der Stürmer mit der besten Schusstechnik in den beiden höchsten Ligen. Er flankiert bei Thurgau den Kanadier Jonathan Ang im ersten Sturm.
Könnte er sich auch in der höchsten Liga durchsetzen? Ja, wenn er richtig eingesetzt wird. Also mit einer wichtigen Rolle in einer Offensiv-Linie. Als Defensivstürmer im dritten oder vierten Sturm verschwendet er sein Talent. Nichts spricht dagegen, dass er auch in der National League in der ersten Linie eingesetzt werden kann.
Klubs im Neuaufbau wie der SC Bern oder mit wenig Geld wie Ambri, Langnau oder Ajoie müssten ihm eigentlich eine Chance geben. Das Risiko ist gleich null. Wer geschickt verhandelt, wird Ian Derungs nächste Saison für erheblich weniger als 100'000 Franken bekommen. Funktioniert es noch nicht, kann er zu Thurgau zurückkehren und später noch einmal einen Anlauf nehmen. Mehr als ein Einjahresvertrag ist nicht nötig.
Die Sportchefs können nicht genau sagen, warum sie sich nicht für Ian Derungs interessieren. Einige sagen: «Zu klein, zu leicht.» Das ist barer Unsinn. In unserer Lauf- und Tempoliga spielt die Postur praktisch keine Rolle. Entscheidend sind Tempo, Technik und Spielintelligenz. Von all dem hat Ian Derungs mehr als genug.
Einige verweisen darauf, dass schon andere in der zweithöchsten Liga sagenhafte Skorerwerte hatten und sich oben dann doch nicht durchsetzen konnten. Dafür wird etwa das Beispiel von Langenthals Kult-Captain Stefan Tschannen genannt, der sich weder in Bern, noch in Basel oder Biel durchgesetzt und dafür die zweithöchste Liga jahrelang dominiert hat. Auch das ist richtig. Nur ist Stefan Tschannen ein ganz anderer Spielertyp als Ian Derungs. Grösser. Schwerer. Weniger explosiv, schnell und flink. Einer mit der Tendenz, die Scheibe nach vorne zu bringen, das Spiel an sich zu reissen, zu dominieren. Aber dafür war er ganz oben zu wenig gut.
Ian Derungs ist mehr ein wirbliges Phantom, das immer wieder am richtigen Ort und überraschend auftaucht, als Forechecker die gegnerischen Verteidiger stichelt und die Torhüter überrascht. Ein genialer Opportunist, der den Puck oft nur ganz kurz übernimmt, sofort weiterleitet oder eben blitzschnell ins Netz zwickt. Einschüchtern lässt er sich nicht.
Warum interessieren sich die Sportchefs nicht für Ian Derungs? Ganz einfach: Weil zu viele sich nicht für die Swiss League interessieren. Weil das Scouting bei zu vielen Klubs miserabel ist. Dazu gibt es einen Witz: Wenn ein Elefant auf dem Bundesplatz Heu frisst, melden die Scouts aufgeregt an die SCB-Zentrale, ein Kamel stehe vor dem Bundeshaus.
Was die ganze Geschichte noch besser macht: Der SC Bern hat den Lakers Marco Lehmann (22) in bewährter SCB-Manier ausgespannt (einfach mehr Geld bieten) und gleich mit einem Vertrag bis 2025 ausgestattet. Dieser Dreijahresvertrag kostet den SCB eine gute Million. Die Berner bezahlen einem Stürmer, der sich erst in einer einzigen Saison in der höchsten Liga leidlich bewährt hat (letzte Saison 11 Tore für die Lakers), als verletzungsanfällig gilt (diese Saison erst 9 Spiele) und eigentlich noch ein Lehrling ist, ein Jahresgehalt in einer Grössenordnung von rund 400'000 Franken.
Marco Lehmann ist nur ein Zentimeter grösser und sogar ein Kilo leichter als Ian Derungs. Er hat also die gleiche Postur, ist nicht robuster und hat sich, anders als Ian Derungs, nie in Nordamerika bewährt. Und er hat eine gemeinsame Vergangenheit mit Ian Derungs. Die beiden stürmten bei Klotens Elite-Junioren oft in der gleichen Linie. Der dritte im Bunde war meistens Ramon Knellwolf, der nun in Ajoie eine Chance bekommt. Ian Derungs hatte immer die besten Statistiken.
Der SCB hätte nächste Saison für weniger als 100'000 Franken Ian Derungs testen können, zieht es aber vor, für Marco Lehmann, einen gleichaltrigen Stürmer mit ähnlichem Potential, in den nächsten Jahren insgesamt wohl mehr als eine Million im Budget zu blockieren. Selbst wenn Marco Lehmann nächste Saison sein Einstiegsjahr bei den Lakers (2020/21 – 50 Spiele, 11 Tore, 19 Assists) bestätigt: Er setzt die Tradition der arg überbezahlten Spieler beim SCB fort.
Nächste Saison sind nicht mehr vier, sondern sechs Ausländer erlaubt. Die Begründung für diese Erhöhung: Es gibt zu wenig Schweizer Spieler für eine 14er-Liga. Das ist barer Unsinn. Solange sich kein Sportchef für einen Schweizer aus der Swiss League interessiert, der in 30 Spielen 23 Tore bucht und der seine Zukunft noch vor sich hat, gibt es keinen Grund, die Anzahl Ausländer in der National League zu erhöhen.
Der Zauberzwerg Ian Derungs entlarvt die Torheit der Sportchefs und Ligageneräle.
Dann schnappt man sich die Spieler der erfolgreicheren Konkurrenz, indem man die Löhne in typischer SCB- Manier in die Höhe treibt. Anstatt Spielern wie Derungs ne Chance zu geben.
Die Spieler kommen mittlerweile nur noch wegen des Geldes nach Bern, weil die direkte Konkurrenz wie Biel, Fribourg, Ambri etc. sportlich und infrastrukturell mittlerweile attraktiver ist.